Superforecasting vs. Zukunftsforschung – Teil 2

Wir machen direkt weiter, wo wir das letzte Mal aufgehört haben.

3. Große vs. begrenzte Fragen

Dieser Punkt ist thematisch eng mit dem vorherigen verknüpft, aber nicht ganz identisch. Um die eindeutige Überprüfbarkeit zu gewährleisten, müssen wir die großen, spannenden Fragen in viele kleine, konkrete  zerlegen. Dies ist ein komplizierter Prozess, der viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl erfordert (man könnte sagen, es sei mehr Kunst als Wissenschaft).
Anstatt also zu fragen“Wie geht es weiter zwischen Russland und dem Westen?“

versuchen wir, diese Frage in eine Reihe von kleinen Fragen aufzusplitten, z.B.

„Werden bis Ende 2017

irgendwelche der 2014 gegenseitig verhängten Sanktionen aufgehoben?“

die Präsidenten Russlands und Amerikas ein persönliches Treffen abhalten?“

bei einer bewaffneten Auseinandersetzungen an den Grenzen zwischen Russland und den baltischen Staaten mindestens 10 Menschen getötet werden?“

die Exporte der EU nach Russland  über das Niveau von 2015 gestiegen sein?“

usw.

Dies sind nur einige, eher spontan gefundene Beispiele. Eine große, komplexe Frage in viele kleine Fragen aufzuspalten, ist, wie gesagt, ein komplizierter Prozess und oft genug praktisch die halbe Arbeit.
  1. Verbale vs. numerische Vorhersagen

Die allermeisten Zukunftsforscher arbeiten in erster Linie deskriptiv, d.h. ein zukünftiges Szenario wird v.a.  beschrieben. Wenn überhaupt einer gewissen Unsicherheit Rechnung getragen werden soll, werden einige unterschiedliche Varianten dargelegt, oft drei (optimistisch, pessimistisch, mittel) oder vier (mit 2 Achsen, die jeweils ein optimistisches und pessimistisches Szenario kennen).

Im Gegensatz hierzu arbeiten wir streng probabilistisch. d.h. jede einzelne Frage erhält eine konkrete Wahrscheinlichkeit zugeordnet. Auf dieser Basis erfolgt später auch die Auswertung (mit Hilfe des sog. Brierscores, den ich an anderer Stelle erklären werde).

Ausschließlich verbale Vorhersagen abzugeben, ist übrigens oft auch gezielte Strategie von Experten (echten oder vermeintlichen), um sich stets ein Hintertürchen offenzuhalten. Wer bestimmte Ereignisse als „möglich“ oder „denkbar“ bezeichnet, lag streng genommen fast nie falsch!

5. Einmalige Abgabe einer Vorhersage vs. stetige Aktualisierung

Ein nicht zu unterschätzender Punkt und eines der häufigsten Missverständnisse, wenn es um unsere Arbeit. Viele Menschen verstehen unter „Vorhersage“ immer noch, einmalig eine Aussage über die Zukunft zu treffen, dabei zu bleiben und irgendwann bestätigt oder widerlegt zu werden. Wir hingegen aktualisieren unsere Vorhersagen ständig; oft bleiben wir bei der Grundrichtung und reduzieren die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses nur von z.B. anfangs 20% langsam mit Ablauf des Zeitfensters auf 0; manchmal vollführen wir aber auch spektakuläre Kehrtwenden. Es geht also, wie schon im jüngsten Post zu Donald Trump angesprochen, nicht darum, von Anfang an richtigzuliegen, sondern möglichst schnell die richtigen Schlüsse aus neuer Information zu ziehen!

Beim Lesen könnte man vielleicht den Eindruck gewinnen, ich hielte die deskriptiv-verbale, allgemein gehaltene und langfristig ausgelegte Zukunftsforschung grundsätzlich für unseriös. Das ist nicht ganz richtig, aber eben auch nicht ganz falsch. Diese Form der Prognostik hat ihre Berechtigung, aber sie muss aus meiner Sicht die Ergebnisse von GJP u.a. berücksichtigen, um relevant zu bleiben.

Was das konkret heißt, werde ich in einem weiteren Post in näherer Zukunft erläutern.

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